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Auf Landstraßen kommt es häufig zu Verkehrsunfällen zwischen dem Überholenden und Verkehrsteilnehmern, welche aus untergeordneten Seitenstraßen auf die Hauptstraße einfahren und dann quasi in das laufende Überholmanöver geraten. Hier stellt sich dann die Haftungsfrage. Dies soll anhand folgenden Falls erläutert werden.

Der Motorradfahrende Mandant überholt auf einer Landstraße eine Kolonne von drei Fahrzeugen. Als er auf Höhe des letzten Fahrzeuges ( erstes Fahrzeug der Kolonne ) ist kann er sehen, wie sich ein Fahrzeug ( PKW ) aus der linksseitig gelegenen Querstraße nähert und schließlich nach rechts ( Blickrichtung des PKW-Fahrers ) auf die Landstraße einbiegt. Auf der (Überhol)Spur, auf die das andere Fahrzeug einbiegt, befindet sich aber noch der Mandant. Es kommt unmittelbar im Einmündungsbereich der Seitenstraße zur Kollision der Fahrzeuge. Der Fahrer des PKW hätte den Mandanten sehen können, wenn er sich des von rechts kommenden Verkehrs vergewissert hätte.

Und? Wie würden Sie entscheiden?

Zunächst könnte man meinen, der Motorradfahrer wäre hier für den Unfall zumindest mitverantwortlich. Er hat mehrere Fahrzeuge überholt, was ja generell ein gefahrträchtiges Verkehrsmanöver ist. Zudem hatte er den PKW gesehen und hätte sodann ja eventuell die Möglichkeit gehabt, sein Überholmanöver abzubrechen. Er fuhr aber weiter und befand sich auf der Überholspur, also nicht seiner „eigentlichen“ Spur. Man könnte sodann daran anknüpfend weiter an einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot denken.

Alle diese Erwägungen sind jedoch unzutreffend.

Der von mir vertretende Motorradfahrer war vollumfänglich vorfahrtsberechtigt. Dann das Vorfahrtsrecht erstreckt sich über die gesamte Fahrbahnbreite. Fragen des Überholmanövers bzw. des Rechtsfahrgebotes sind bei der Frage des Mitverschuldens unbeachtlich. Die entsprechenden Sorgfaltsanforderungen der StVO schützen nämlich nicht den Querverkehr, also nicht den PKW-Fahrer. Der Fahrer des PKW hätte das Vorfahrtsrecht des Mandanten beachten müssen. Er hätte ihn ja auch sehen können. Damit steht der Vorfahrtsverstoß des PKW-Fahrers fest.

Dem Motorradfahrer ist hier kein Verschuldensvorwurf zu machen.

Allerdings ist bei der Haftungsabwägung auch immer die sogenannte Betriebsgefahr eines Fahrzeuges zu berücksichtigen, denn mit einem KfZ unterwegs zu sein ist generell gefährlich. Regelmäßig werden daher 20% Mithaftung aus der Betriebsgefahr bei Unfällen eingestellt. Dies nur dann nicht, wenn der Unfall quasi nicht zu vermeiden war oder aber der Verkehrsverstoß einer Seite so groß ist, dass demgegenüber die Betriebsgefahr nicht mehr ins Gewicht fällt.

So hat hier das Landgericht Verden die Betriebsgefahr des Motorradfahrers eingestellt und kam zu einer 80%igen Haftung des PKW. 20% Mithaftung aus der Betriebsgefahr verblieben dem Mandanten, der ja den PKW gesehen hatte und entsprechend hätte reagieren können.

Dieses zutreffend anmutende Ergebnis hat das OLG Celle auf unsere Berufung hin korrigiert und eine 100%ige Haftung des PKW-Fahrers ausgeurteilt.

Denn es war zunächst irrelevant, dass mein Mandant den PKW auf der Seitenstraße gesehen hat. Denn er durfte weiterhin darauf vertrauen, dass sein Vorfahrtsrecht beachtet wird. Erst als er erkannte, dass der PKW-Fahrer auf die Hauptstraße einbiegt, musste ihm klar werden, dass der PKW-Fahrer das Vorfahrtsrecht nicht beachtet. Zu diesem Zeitpunkt war es aber letztlich schon zu spät für eine Reaktion. Soweit man eine Betriebsgefahr ansetzen wollte, weil das Überholmanöver generell gefährlich ist, trete der Ansatz einer solchen Betriebsgefahr jedoch hinter dem groben Verkehrsverstoß des PKW-Fahrers zurück, welcher das Vorfahrtsrecht meines Mandanten missachtet hatte, so das OLG Celle.

Insofern konnte hier für den Mandanten ein positives Ergebnis erzielt werden. Der PKW-Fahrer haftet zu 100%.

In der geschilderten Unfallkonstellation kommt es daher letztlich auf den konkreten Sachverhalt an, eine 100%ige Haftung des Einbiegenden, wie hier, ist genauso möglich, wie eine Haftung des Überholenden, welcher z. B. sein Überholmanöver erst eingeleitet hat, als er hätte bereits sehen können, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer einbiegt. Es kommt also entsprechend auf die Feinheiten des jeweiligen Falles an.

Diese Feinheiten hatte hier der auf Verkehrsrecht spezialisierte Senat des OLG Celle herausgearbeitet und kam dann zu einem -in meinen Augen- zutrffendem Ergebnis.

In einem Verfahren vor dem Amtsgericht Diepholz ging es um folgenden Fall:

Die Klägerin wollte mit ihrem Fahrzeug aus einer Grundstückseinfahrt nach links auf die Straße abbiegen. Der Verkehr Richtung rechts staute sich. Schnell fand sich ein freundlicher LKW-Fahrer, welcher eine Lücke ließ und die Klägerin durch Winken zum Fahren ermutigte. Das tat sie dann auch, nutzte die Lücke und bog sodann nach links ab.

In diesem Moment ging es dem Beklagten jedoch nicht schnell genug. Dieser stand am Ende des Staus, ein paar Autos hinter dem LKW. Da er im späteren Verlauf der Straße hat nach links auf die Abbiegerspur wechseln wollen, packte in die Ungeduld. Die ersehnte Linksabbiegerspur war nur wenige Meter entfernt. Also schnell ausgeschehrt, die durchgezogene Linie überfahren um den lästigen Stau zu umfahren.

Doch es kam, wie es kommen musste. Genau in Höhe der Abbiegspur kreuzten sich die Fahrzeuge der Beteiligten und es kam zum Unfall.

Die Versicherung des Beklagten regulierte den Schaden am Fahrzeug der Klägerin zu 50% und lehnte eine weitere Regulierung ab. Böse Versicherung könnte man meinen. Und auch die Klägerin war mit diesem Ergebnis nicht zufrieden, hatte doch der Beklagte einfach die durchgezogene Linie überfahren und links die wartene Kolonne überholt.

Mit der eigenen Rechtsschutzversicherung im Gepäck zog man daher ins gerichtliche Verfahren.

Das Amtsgericht Diepholz entschied sodann, dass die Klägerin zu 66% für den Unfall verantwortlich ist und der Beklagte zu 33%. Die Klägerin hatte damit nicht nur das Verfahren verloren, sondern musste noch die zu viel regulierten Beträge zurückerstatten.

Was war passiert?

Die Klägerin ist aus einer Grundstücksausfahrt herausgefahren. Hier gelten höchste Sorgfaltsanforderungen nach § 10 StVO. Dies gilt umsomehr, weil die Klägerin nicht einfach nach rechts abbogen ist, sondern sich durch eine Lücke „quetschte“, um nach links abzubiegen. Hierbei handelt es sich um ein besonders gefährliches Fahrmanöver, so dass die Klägerin äußerst sorgfältig hätte fahren müssen, was sie jedoch nicht gemacht hat. Denn dann wäre es zu einem Unfall gar nicht erst gekommen.

Demgegenüber ist es unerheblich, dass der Beklagte eine durchgezogene Linie überfahren hat, weil entsprechende Fahrbahnbegrenzungen nicht dem Schutz des Einbiegenden -und damit der Klägerin- dienen.

Aber, so das Gericht, wenn man schon an einer Kolonne vorbeifährt, muss man ebenfalls vorsichtig sein, was der Beklagte nicht war, so dass es zu einer Mithaftung des Beklagten kommt, jedoch nur in Höhe von 33%.

Urteil des AG Diepholz vom 25.06.2015, Az. 2 C 78/15 (III), rechtskräftig