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Eine typische Unfallsituation auf einer Autobahn ist, dass etwa ein auffahrendes Fahrzeug von dem Beschleunigungsstreifen unter Missachtung der Vorfahrt des sich auf der Autobahn befindenden Verkehrs auffährt oder das ein Fahrzeug von der rechten oder mittleren Spur wiederum unter Missachtung der Vorfahrt des von hinten auf der Überholspur fahrenden Fahrzeuges ausschert und es dann zu einer Kollision kommt.

Wie schon soeben mitgeteilt, ist es grundsätzlich so, dass der von hinten heran nahende Verkehr vorfahrtsberechtigt ist und ein Spurwechsel nur unter Beachtung größtmöglicher Sorgfalt, ohne Gefährdung des bevorrechtigten Verkehrs zulässig ist.

In diesen Situationen kommt es aber ebenfalls regelmäßig zu dem Einwand des „Unfallverursachers“, dass der von hinten herannahende Verkehr zu schnell, also deutlich schneller als Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren sei.

Dieser Einwand kann durchaus relevant sein, nämlich dann, wenn die Richtgeschwindigkeit deutlich überschritten wird.

So hat u.a. im Sommer letzten Jahres das OLG München festgestellt, dass eine Überschreitung von 70 km/h der Richtgeschwindigkeit den Begriff der deutlichen Überschreitung erfüllt und dann zu einer entsprechenden Erhöhung der sog. Betriebsgefahr führt, was dann wiederum bedeutet, dass eine Haftungsquote gebildet wird (Az.: 10 U 7382/21).

Aus der sonstigen Rechtsprechung die mir bekannt ist, ist abzuleiten, dass in einem Bereich ab ungefähr 40 km/h über der Richtgeschwindigkeit, also ab einer Geschwindigkeit auf der Autobahn von ca. 170 km/h davon auszugehen ist, dass über eine entsprechende Mithaftungsquote ernsthaft nachgedacht und diskutiert werden muss.

Gerade im ländlichen Bereich kommt es immer wieder zu zum Teil schweren Verkehrsunfällen, in denen Traktoren und/oder Traktorgespanne verwickelt sind. Gerade hier stellt sich dann oft die Frage, inwieweit der in den Verkehrsunfall verwickelte Traktor für die Folgen des Unfalls zu haften hat. Dabei muss zunächst berücksichtigt werden, dass jedes Kraftfahrzeug eine sog. Betriebsgefahr hat, aus der sich bereits eine Haftung ergibt. Der Gesetzgeber hat nämlich erkannt, dass allein die Tatsache, dass man mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnimmt, eine grundsätzliche Gefahr für andere setzt, so dass man aufgrund dieser Gefahr, eben der Betriebsgefahr, bereits für etwaige Unfallfolgen einzustehen hat, soweit der Verkehrsunfall für einen selbst nicht zu verhindern gewesen ist.

Was die Höhe dieser Betriebsgefahr angeht, kommt es natürlich auch auf das gefahrene Kraftfahrzeug an. Die Höhe der Betriebsgefahr wird bei einem PKW in der Regel bei 20-25 % angesiedelt, bei einem LKW meist Richtung 30 % und bei einem größeren Traktorgespann können hier auch durchaus einmal noch höhere Betriebsgefahren angesiedelt werden.

Das bedeutet, dass man bei einem Verkehrsunfall daher schnell in der Haftung ist, obwohl vielleicht der Unfallgegner einen schwerwiegenden Fahrfehler gemacht hat, da man selbst nur von der Haftung frei wird, wenn man quasi wie ein Idealfahrer gefahren ist. Aber wer tut das schon?

Das Oberlandesgericht Hamm ( Urteil vom 07.06.2016, 9 U 59/14 ) hatte sich vor kurzem mit einem Sachverhalt zu beschäftigen, bei dem es um einen Verkehrsunfall zwischen zwei sich entgegenkommenden Traktoren ging. Diese begegneten sich auf einer engen Landstraße die schmaler war, als beide Traktoren nebeneinander zusammen. Entsprechend war es unabdingbar, dass die Traktoren sich gegenseitig hätten Platz machen müssen. Hier war es allerdings so, dass beide Traktoren mit unvermittelter Geschwindigkeit aneinander vorbeigefahren sind und der Führer eines Traktors nach rechts in das Grün neben die Fahrbahn ausgewichen ist. Der Traktor kam daraufhin ins Schlingern und kippte um.

Es stellte sich daher die Frage, wer in welcher Höhe für diesen Verkehrsunfall zu haften hat.

Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung zunächst sehr schön dargestellt, dass sich eine Haftung aus der sog. Betriebsgefahr auch dann ergibt, wenn es zwischen den Unfallbeteiligten zu keinerlei Berührungen gekommen ist, da es nur darauf ankomme, dass der Fahrer des einen Traktors es für erforderlich gehalten hat nach rechts ausweichen zu müssen. Zudem war beiden Fahrzeugführern vorzuwerfen, dass sie gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verstoßen haben. Beiden hätte klar sein müssen, dass die Fahrbahn nicht breit genug ist, damit beide Traktoren aneinander ohne jedwede Gefährdung aneinander vorbeifahren können. Insofern wäre es angebracht gewesen, die Geschwindigkeit bis zum Stillstand zu stoppen und sodann eine Verständigung dahingehend zu treffen, welcher Traktor an dem jeweils anderen mit sehr langsamer Geschwindigkeit vorbeifährt. Da eine solche Verständigung nicht erfolgt ist, hatten sich beide eben nicht wie ein Idealfahrer verhalten. Daher hafteten beide Traktorfahrer für den Verkehrsunfall. Da die sog. Betriebsgefahr bei beiden Traktoren gleich hoch anzusiedeln war, wurde daher eine Haftungsquote von 50 % : 50 % ausgeurteilt. Dies bedeutet, dass jeder der beiden Traktoren ( bzw. der hinter ihnen stehenden Versicherungen ) 50 % des Schadens des jeweils anderen Traktors zahlen muss.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts dürfte äußerst praxisrelevant sein, da es gerade im ländlichen Verkehr immer wieder zu solchen Situationen kommt, nicht nur zwischen Traktorfahrern, sondern natürlich auch zwischen anderen Verkehrsteilnehmern, da gerade im dörflichen Bereich die Straßen oftmals die nötige Breite nicht haben. Insofern zeigt die Entscheidung ganz klar auf, dass man sich in solchen Situationen besonnen und rücksichtsvoll verhalten muss, was einschließt sich notfalls mit den anderem Verkehrsteilnehmer zu verständigen.

Entsprechend kann nur angeraten werden in solchen und ähnlichen Situationen dem allgemeinen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu folgen und nicht stur auf ein gefühltes Vorfahrtsrecht zu vertrauen.