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Das Oberlandesgericht Celle hat sich im Rahmen eines Beschlusses zu der Frage geäußert, ob der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher die Gewährleistung ausschließen kann und ob er selbiger entgeht, wenn er den Gegenstand „im defekten Zustand“ verkauft, vgl. Beschluss vom 24.10.22, 7 U 397/22.

Der Fall:

Der Mandant kauft als Verbraucher einen Bagger bei einem Unternehmen. Handschriftlich wird auf dem Vertrag festgehalten, dass die Gewährleistung ausgeschlossen wird. Zudem wird der Bagger verkauft „im defekten Zustand“. Das Landgericht hatte die Klage des Mandanten abgewiesen, der Gewährleistungsausschluss greife, zudem sei der Bagger als „defekt“ verkauft.

Die Lösung des OLG Celle:

Diese Auffassung wurde vom Berufungsgericht nicht geteilt.

Zum einen ist es aufgrund gesetzlicher Regelegungen nicht zulässig, die Gewährleistung beim Verkauf vom Unternehmer an den Verbraucher ( Verbrauchsgüterkauf ) auszuschließen. Dies selbst dann, wenn der Ausschluss individuell erfolgt.

Zum anderen können die Vertragsparteien zwar eine negative Beschaffenheit vereinbaren, also sich darauf verständigen, dass etwas bestimmtes nicht funktioniert. Dies setzt aber voraus, dass auch hinreichend deutlich wird, um was es sich dabei handelt. Die plakative Beschreibung „im defekten Zustand“ würde dem hier nicht gerecht und würde sonst dazu führen, dass der Gewährleistungsausschluss auf Umwegen dann letztlich doch geltend würde. Dies verbietet das Gesetz aber gerade.

Insofern ist es dem Unternehmer beim Verkauf an einen Verbraucher nicht möglich über globale Formulierungen sich aus der Gewährleistung zu stehlen.

 

In einer aktuellen Entscheidung hat sich das Oberlandesgerichts Celle zum einen zum Verhältnis zwischen den sogenannten Schockschäden und dem Hinterbliebenengeld geäußert, zum anderen aber auch zur Höhe eines Hinterbliebenengeldes, vgl. OLG Celle, Urteil vom 24.08.2022, 14 U 22/22.

Was die Schadenregulierung von Verkehrsunfällen angeht, so ist es grundsätzlich einhellige Rechtsprechung, dass Dritte, die also an einem Unfall nicht beteiligt sind, regelmäßig keinerlei eigene Schmerzensgeldansprüche gegen den Unfallverursacher geltend machen können. Denn Zeuge eines vielleicht auch gravierenden Verkehrsunfalls zu werden ist Teil des allgemeinen Lebensrisikos, für den Kfz-Haftpflichtversicherer nicht einzustehen haben. Eine Ausnahme hiervon hat die Rechtsprechung für sogenannte Schockschäden herausgearbeitet. Dies betrifft Fälle, in denen ein naher Angehöriger in der Regel den Tod des Ehemanns oder des eigenen Kindes im Rahmen eines Verkehrsunfall selbst miterlebt. Zu denken ist hier zum Beispiel an einen Motorradfahrer, welcher seine vorausfahrende Ehefrau verunglücken sieht oder aber auch Eltern, die beim Unfalltod des Kindes anwesend sind. In solchen Fällen kann das Miterleben des Verkehrsunfalls und insbesondere der Tod des nahen Angehörigen eigene Schmerzensgeldansprüche des eigentlich nicht unfallbeteiligten Dritten auslösen, was eben unter dem Begriff des Schockschadens von der Rechtsprechung entwickelt wurde.

Voraussetzung um hier Ansprüche geltend zu machen, ist aber regelmäßig zum einen das Miterleben des Unfallgeschehens und zum anderen, dass die Reaktion auf den Unfalltod des Angehörigen über das übliche Maß dessen hinausgeht, was bei der Mitteilung des Todes eines nahen Angehörigen zu erwarten ist.

Zu der Frage, wie hier die möglichen Grenzen zu ziehen sind, hat sich nunmehr das OLG Celle geäußert. Es hat hierbei sodann auch eine Abgrenzung zum vor wenigen Jahren eingeführten Hinterbliebenengeld gegeben. Das Hinterbliebenengeld durchbricht per Gesetz den Grundsatz, dass ein Dritter keinerlei Ansprüche aus einem Verkehrsunfall herleiten können soll dahingehend, dass der Schädiger auch nahen Verwandten eine Entschädigung in Geld für den Tod des Angehörigen zu bezahlen hat.

Nicht geklärt war bislang die Frage in welcher Höhe sich ein solches Hinterbliebenengeld zu bewegen hat. Die Rechtsprechung orientierte sich bisher weitestgehend an den Urteilen die zu den Schockschäden veröffentlicht wurden. Dort wurde regelmäßig ein Betrag von 10.000,00 € als Eingangswert für angemessen erachtet und dieser dann erhöht bzw. reduziert je nach den Einzelheiten des Einzelfalls.

So hat es hier letztlich auch das OLG Celle getan. Es geht auch beim Hinterbliebenengeld von einem Entschädigungsbetrag von 10.000,00 € aus, sofern leichte Fahrlässigkeit zum Tod des Geschädigten geführt hat. Bei grober Fahrlässigkeit wird, wie im entschiedenen Fall, ein Betrag von 15.000,00 € für angemessen gehalten. Bei vorsätzlicher Tötung ein Betrag von 20.000,00 €. Die genannten Beträge sind jedoch nur als Richtschnur zu verstehen und können noch den jeweiligen Spezifika des Einzelfalls angepasst werden.

Insofern dürften für den Bereich des OLG Celle für die weitere Unfallschadenregulierung nunmehr entsprechende Eckpfeiler herausgearbeitet worden sein, so dass zu erwarten ist, dass es in diesem Punkt zukünftig weniger gerichtliche Verfahren geben dürfte. Interessant ist die Entscheidung des OLG Celle auch, da sie eine klare Abgrenzung zum Schockschaden trifft und insbesondere auch dem Geschädigten recht hohe Hürden auferlegt wenn es darum geht, einen Schockschaden erfolgreich geltend zu machen.

Im entschiedenen Fall war der Kläger kurze Zeit nach dem Unfall zum Unfallort gekommen und hatte seinen minderjährigen Sohn tot an der Unfallstelle vorgefunden. Dies hatte den dortigen Kläger erheblich gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen. Nach Auffassung des Senats waren die mitgeteilten Gesundheitsschäden aber nicht stärker einzustufen, als bei einer anderweitigen Mitteilung des Todes des eigenen Kindes. Insbesondere zog der Senat in die Bewertung mit ein, dass der Kläger wohl weiterhin seiner Arbeit hatte nachgehen können.

Insofern hat hier das OLG Celle einen relativ strengen Maßstab angelegt.

Meines Erachtens kann die zu klärende Frage aber nicht daran hängen, ob der jeweilige Betroffene noch arbeiten gehen kann oder nicht. Denn die Frage wie eine Person auf den Tod eines nahen Angehörigen reagiert, liegt letztendlich in der Person dessen der eine solche Nachricht erhält, so dass es wohl verfehlt sein dürfte, die Frage, ob ein Schockschaden vorliegt, weitestgehend daran festmachen zu wollen, ob noch eine Weiterführung der Arbeit möglich gewesen ist. Zumindest aus meiner Praxis ist mir bekannt, dass vielfach der Tod des minderjährigen Kindes auch außerhalb vom Unfallgeschehen nicht verarbeitet werden kann, was insoweit auch Folgen für die eigene Arbeitstätigkeit hat, so dass es in solchen Fällen letztlich ja nahezu nie möglich wäre, einen Schockschaden mit der Argumentation des OLG Celle erfolgreich zu begründen.

Insofern hat das OLG Celle in meinen Augen die Latte hier für den sogenannten Schockschaden zu hoch gelegt. Abzuwarten bleibt, wie sich die weitere Rechtsprechung in diesem Bereich entwickeln wird und insbesondere wie auch der BGH dies einmal entscheiden wird, sofern ein geeigneter Fall dort zu entscheiden sein wird.

 

 

Mit Beschluss vom 18.06.2021, Az. 2 Ss (Owi) 69/21 hat der für Bußgeldsachen zuständige zweite Senate des OLG Celle entschieden, dass Messungen mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 derzeit nicht mehr als standardisiertes Messverfahren angesehen werden können. Es hat daher eine Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und den Vorgang dorthin zurückverwiesen.

Das Amtsgericht muss nun wohl mittels Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens überprüfen lassen, ob die Messung mit dem verwendeten Messgerät in dem konkreten Fall ordnungsgemäß gewesen ist.

Ob die Gerichte bei der Menge an Verfahren aber tatsächlich in jedem Fall solche Gutachten beauftragen werden oder aber ob es nicht zu anderen Verfahrensbeendigungen, z. B. durch Einstellung des Verfahrens, kommen wird, bleibt abzuwarten.

Jedenfalls greift das OLG Celle die Bedenken bzgl. des Messgerätes, vgl. https://www.kanzlei-hgk.de/messungen-mit-leivtec-xv3-fehlerhaft/ auf. Eine Verurteilung ohne sachverständige Begutachtung scheint derzeit in diesen Verfahren jedenfalls nicht denkbar.

UPDATE 06.07.2021

Mir liegt aktuell in einem von mir betreuten Verfahren ebenfalls ein entsprechender Beschluss des OLG Celle vor, Beschluss vom 29.06.2021, 2 Ss OWI 57/21. Das Urteil des Amtsgerichts wurde aufgehoben und der Vorgang ebenfalls an das Amtsgericht zurückverwiesen. Aufgrund der abschließenden Stellungnahme der PTB https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/fachabteilungen/abteilung_1/1.3_kinematik/1.31/ PTB_Stellungnahme_XV3_Abschluss.pdf geht der Senat des OLG Celle nicht mehr von einem standartisierten Messverfahren bei dem in Rede stehenden Messgerät aus.

Bei der Schadenregulierung von Verkehrsunfällen stellt sich immer wieder die Frage, wie viel Zeit eigentlich der KfZ-Haftpflichtversicherer hat, um Schäden zu regulieren. Hierzu mal ein Beispiel:

Auf dem Parkplatz eines Einkaufzentrums kommt es zu einem Verkehrsunfall. Die Mandantin parkt vorwärts aus einer Parkbucht aus. Während des Ausparkens fährt auf einmal unvermittelt aus der gegenüberliegenden Parkbucht ein Fahrzeug rückwärts heraus. Die Mandantin bremst und kommt zum Stillstand. Das andere Fahrzeug fährt weiter rückwärts. Die Mandantin hupt und versucht noch geistesgegenwärtig in den Rückwärtsgang zu schalten um wieder zurückfahren zu können. Es kommt aber zur Kollision mit dem bereits seit einiger Zeit stehenden Fahrzeug der Mandantin. Der Unfallgegner und die Mandantin steigen aus und sind sich vor Ort über die Schuldfrage einig. Der Mandantin werden die Daten des gegnerischen KFZ-Haftpflichtversicherers ausgehändigt. Dort wird der Schaden dann gemeldet und beziffert. Aber die Regulierung lässt auf sich warten. Nach drei Wochen des Wartens erteilt die Mandantin Klagauftrag. Der Versicherer zahlt nach Zustellung der Klage. Aber wer muss nun für die Verfahrenskosten aufkommen?

Es ist natürlich verständlich, wenn Unfallgeschädigte bzgl. der Schadenregulierung eine gewisse Ungeduld an den Tag legen. Dies insbesondere dann, wenn das verunfallte Fahrzeug nicht mehr zu benutzen ist und das Geld für die Reparatur oder die Neuanschaffung fehlt. Auch wenn vor Ort die Schuldfrage eigentlich klar war, wundern sich Mandanten oft, warum der Versicherer so lange braucht, um in die Regulierung einzutreten.

Dem KfZ-Haftpflichtversicherer steht jedoch nach einschlägiger und ständiger Rechtsprechung der Gerichte eine Frist zur Regulierung zu. Dies ist auch sachgerecht. Der Versicherer bzw. der Sachbearbeiter dort war beim Unfall nicht zugegen. Er kann also nicht einfach einen Schaden regulieren, nur weil er dem Versicherer vom Unfallgeschädigten angezeigt wird. Dies wäre entgegen dem Interesse der eigenen Versichertengemeinschaft. Der Versicherer ist daher auf die Schadensmeldung des eigenen Versicherungsnehmers angewiesen. Hat der Versicherungsnehmer den Schaden nicht angezeigt, so wird der Versicherer erstmals mit der Schadensmeldung des Unfallgeschädigten auf den Sachverhalt aufmerksam und muss dann entsprechende Informationen bei seinem Versicherungsnehmer anfordern. Dieser muss aber nicht immer identisch sein mit dem Fahrer des Fahrzeuges zum Unfallzeitpunkt, man denke hier z. B. an eine Mietwagenfirma.

Dass die entsprechenden Abläufe Zeit benötigen, liegt auf der Hand. Der Versicherer muss für sich klären, ob eine Haftungsverpflichtung vorliegt und wenn ja in welcher Höhe einer zu bestimmenden Quote.

So kann man bei einem Parkplatzunfall wie dem oben beschriebenen z. B. auch immer über eine Mithaftung des Unfallgeschädigten aus der sogenannten Betriebsgefahr des Fahrzeuges nachdenken, auch wenn dieses bereits gestanden hat.

Weiter muss der Versicherer für sich klären, ob der zumeist über ein Sachverständigengutachten geltend gemachte Schaden plausibel ist. Ist er auf den Unfallhergang zurückzuführen oder soll vielleicht versucht werden, vorhandene Vorschäden mitabzurechnen? Zu klären ist auch, ob die Schadensbezifferung der Höhe nach zutreffend ist. Um diese Fragen zu klären, ziehen Versicherer inzwischen externe Dienstleister zur Rate. Auch diese Ermittlungsarbeit kostet Zeit.

Bei Unfällen mit Beteiligung ausländischer Verkehrsteilnehmer kommt es zu weiteren Verzögerungen, da diese Unfälle über inländische Schadenregulierer „laufen“ welche wiederum selbst mit dem ausländischen Versicherer korrespondieren müssen.

Daher verwundert es nicht, dass die Rechtsprechung dem Versicherer auch in einfach gelagerten Fällen meist eine Regulierungsfrist von 4-6 Wochen zugesteht. Dies aber nicht etwa ab dem Unfalldatum, sondern ab dem Tag, an dem beim Versicherer ein konkretes, spezifisches Anspruchsschreiben eingeht.

Diese Rechtsprechung wurde aktuell bestätigt durch das Landgericht Verden sowie OLG Celle in einem von mir betreuten Verfahren. In diesem habe ich den Versicherer vertreten, welcher nach Klagerhebung weitestgehend zahlte. Die Kosten des so zur Erledigung gebrachten Rechtsstreits hatte der Kläger zu tragen, welcher vorschnell die Klage eingereicht hatte, nämlich nur knapp drei Wochen nach Übersendung des konkreten Anspruchsschreibens. Diese Zeitspanne war weder für das Landgericht Verden noch für das OLG Celle ausreichend, insbesondere weil in diesen Zeitraum noch zwei Feiertage fielen.

Entsprechend zeigt sich aus Sicht des Unfallgeschädigten leider, dass auch bei vermeintlich klaren Unfallangelegenheiten Geduld gefragt ist und von der vorschnellen Einlegung einer Klage nur abgeraten werden kann, da die Einleitung eines verfrühten Gerichtsverfahrens dazu führen kann, dass der Unfallgeschädigten nicht nur die Gerichtkosten bezahlen muss, sondern auch die Anwaltskosten. Auch eine eventuell vorhandene Rechtsschutzversicherung wird hier sicherlich nicht begeistert sein, wenn unnötig ein Verfahren lanciert wird.

 

 

Auf Landstraßen kommt es häufig zu Verkehrsunfällen zwischen dem Überholenden und Verkehrsteilnehmern, welche aus untergeordneten Seitenstraßen auf die Hauptstraße einfahren und dann quasi in das laufende Überholmanöver geraten. Hier stellt sich dann die Haftungsfrage. Dies soll anhand folgenden Falls erläutert werden.

Der Motorradfahrende Mandant überholt auf einer Landstraße eine Kolonne von drei Fahrzeugen. Als er auf Höhe des letzten Fahrzeuges ( erstes Fahrzeug der Kolonne ) ist kann er sehen, wie sich ein Fahrzeug ( PKW ) aus der linksseitig gelegenen Querstraße nähert und schließlich nach rechts ( Blickrichtung des PKW-Fahrers ) auf die Landstraße einbiegt. Auf der (Überhol)Spur, auf die das andere Fahrzeug einbiegt, befindet sich aber noch der Mandant. Es kommt unmittelbar im Einmündungsbereich der Seitenstraße zur Kollision der Fahrzeuge. Der Fahrer des PKW hätte den Mandanten sehen können, wenn er sich des von rechts kommenden Verkehrs vergewissert hätte.

Und? Wie würden Sie entscheiden?

Zunächst könnte man meinen, der Motorradfahrer wäre hier für den Unfall zumindest mitverantwortlich. Er hat mehrere Fahrzeuge überholt, was ja generell ein gefahrträchtiges Verkehrsmanöver ist. Zudem hatte er den PKW gesehen und hätte sodann ja eventuell die Möglichkeit gehabt, sein Überholmanöver abzubrechen. Er fuhr aber weiter und befand sich auf der Überholspur, also nicht seiner „eigentlichen“ Spur. Man könnte sodann daran anknüpfend weiter an einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot denken.

Alle diese Erwägungen sind jedoch unzutreffend.

Der von mir vertretende Motorradfahrer war vollumfänglich vorfahrtsberechtigt. Dann das Vorfahrtsrecht erstreckt sich über die gesamte Fahrbahnbreite. Fragen des Überholmanövers bzw. des Rechtsfahrgebotes sind bei der Frage des Mitverschuldens unbeachtlich. Die entsprechenden Sorgfaltsanforderungen der StVO schützen nämlich nicht den Querverkehr, also nicht den PKW-Fahrer. Der Fahrer des PKW hätte das Vorfahrtsrecht des Mandanten beachten müssen. Er hätte ihn ja auch sehen können. Damit steht der Vorfahrtsverstoß des PKW-Fahrers fest.

Dem Motorradfahrer ist hier kein Verschuldensvorwurf zu machen.

Allerdings ist bei der Haftungsabwägung auch immer die sogenannte Betriebsgefahr eines Fahrzeuges zu berücksichtigen, denn mit einem KfZ unterwegs zu sein ist generell gefährlich. Regelmäßig werden daher 20% Mithaftung aus der Betriebsgefahr bei Unfällen eingestellt. Dies nur dann nicht, wenn der Unfall quasi nicht zu vermeiden war oder aber der Verkehrsverstoß einer Seite so groß ist, dass demgegenüber die Betriebsgefahr nicht mehr ins Gewicht fällt.

So hat hier das Landgericht Verden die Betriebsgefahr des Motorradfahrers eingestellt und kam zu einer 80%igen Haftung des PKW. 20% Mithaftung aus der Betriebsgefahr verblieben dem Mandanten, der ja den PKW gesehen hatte und entsprechend hätte reagieren können.

Dieses zutreffend anmutende Ergebnis hat das OLG Celle auf unsere Berufung hin korrigiert und eine 100%ige Haftung des PKW-Fahrers ausgeurteilt.

Denn es war zunächst irrelevant, dass mein Mandant den PKW auf der Seitenstraße gesehen hat. Denn er durfte weiterhin darauf vertrauen, dass sein Vorfahrtsrecht beachtet wird. Erst als er erkannte, dass der PKW-Fahrer auf die Hauptstraße einbiegt, musste ihm klar werden, dass der PKW-Fahrer das Vorfahrtsrecht nicht beachtet. Zu diesem Zeitpunkt war es aber letztlich schon zu spät für eine Reaktion. Soweit man eine Betriebsgefahr ansetzen wollte, weil das Überholmanöver generell gefährlich ist, trete der Ansatz einer solchen Betriebsgefahr jedoch hinter dem groben Verkehrsverstoß des PKW-Fahrers zurück, welcher das Vorfahrtsrecht meines Mandanten missachtet hatte, so das OLG Celle.

Insofern konnte hier für den Mandanten ein positives Ergebnis erzielt werden. Der PKW-Fahrer haftet zu 100%.

In der geschilderten Unfallkonstellation kommt es daher letztlich auf den konkreten Sachverhalt an, eine 100%ige Haftung des Einbiegenden, wie hier, ist genauso möglich, wie eine Haftung des Überholenden, welcher z. B. sein Überholmanöver erst eingeleitet hat, als er hätte bereits sehen können, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer einbiegt. Es kommt also entsprechend auf die Feinheiten des jeweiligen Falles an.

Diese Feinheiten hatte hier der auf Verkehrsrecht spezialisierte Senat des OLG Celle herausgearbeitet und kam dann zu einem -in meinen Augen- zutrffendem Ergebnis.

Entscheidung des OLG Celle: Anspruch des Betroffenen auf Herausgabe der Rohmessdaten (OLG Celle Beschluss vom 16.06.2016, 1 Ss OWi 96/16)

Es ist schnell passiert, dass man heutzutage „geblitzt“ wird. Immer mehr Städte und Landkreise machen recht aggressiv Jagd auf Temposünder, nicht nur zur Sicherung des Verkehrs, sondern natürlich auch zum Füllen des eigenen Haushaltes.

Viele Betroffene sind der Meinung, eine Geschwindigkeitsmessung könne nicht angegriffen werden, so dass sie das entsprechende Bußgeld oftmals ohne jeglichen Widerstand akzeptieren. Gegenteiliges, das nämlich sehr häufig für den Betroffenen positive Ergebnisse erzielt werden, lässt sich jedoch aus unserer rechtsanwaltlichen Praxis ersehen.

Denn neben formalen Fehlern, Problemen bei der Identifizierung des Fahrzeugführers aufgrund von schlechten Messbildern, ist auch immer die grundsätzliche Fehlerhaftigkeit einer Messung, insbesondere bei mobilen Messsystemen, ein Einfallstor für die rechtsanwaltliche Verteidigung.

Entsprechend kann ich nur dazu raten, gerade wenn eine Rechtsschutzversicherung besteht, einen entsprechenden Vorgang in die rechtsanwaltliche Prüfung zu geben.

Gerade bei der Messung als solche passieren immer wieder zum Teil grobe Fehler durch oftmals schlecht oder gar nicht geschulte Messbeamte bzw. einfach dadurch, dass sich aufgrund der Häufigkeit von Messungen Fehler einschleichen.

Diese Fehler aufzudecken ist eigentlich die Aufgabe des Gerichts, in der Praxis jedoch im Grunde lediglich Aufgabe der Verteidigung, da die Gerichte eine Ordnungsgemäßheit der Messung letztlich fast immer unterstellen. Daher ist es umso notwendiger den Akteninhalt der Bußgeldakte mit den Anforderungen der Bedienungsanleitung bezüglich der Ordnungsgemäßheit der Messung in Abgleich zu bringen. Ob der Betroffene oder der Rechtsanwalt einen Anspruch auf Einsicht in diese Bedienungsanleitung hat, ist seit Jahren heftig umstritten.

Gleiches gilt für die Frage, ob dem Rechtsanwalt sowie den Betroffenen Einblick in die Rohmessdaten der entsprechenden Messung gewährt werden muss, da nur über diese Daten eine Prüfung der Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit möglich ist. Diese Frage wird von den Gerichten in der jüngsten Rechtsprechung sehr kontrovers diskutiert. Dabei ist zu erkennen, dass vor allen Dingen in der Rechtsprechung der Amtsgerichte die Tendenz überwiegt, einen entsprechenden Antrag der Verteidigung stattzugeben. Demgegenüber obwiegt derzeit noch die obergerichtliche Rechtsprechung, wonach die Rohmessdaten nicht zwingender Aktenbestandteil sind und daher der Verteidigung und den Betroffenen nicht zur Verfügung gestellt werden müssen.

Diese Rechtsprechung ist insofern misslich und zudem auch denkunlogisch, da wie bereits beschrieben, die Gerichte letztlich eine Ordnungsgemäßheit der Messung unterstellen und der Verteidigung abverlangen, Gegenteiliges nachzuweisen bzw. etwaige Fehler aufzuspüren. Gleichzeitig aber wird der Verteidigung nicht das notwendige Mittel in die Hand gegeben, um diese Fehler überhaupt aufspüren zu können, nämlich eben oftmals die fehlende Bedienungsanleitung und/oder die fehlenden Rohmessdaten.

Dass eine solche Rechtsprechung für den Betroffenen schädlich ist und diesem einen Vortrag in der Sache abverlangt, dem dieser mangels entsprechender Information gar nicht leisten kann, hat nunmehr der erste Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Celle in einer sehr lesenswerten Entscheidung verbrieft.

Demnach ist es angezeigt, dass das Gericht den Betroffenen auf dessen Antrag hin die entsprechenden Daten zur Verfügung stellt bzw. wenn diese Daten nicht Teil der Bußgeldakte sein sollten, eben dafür sorgt, dass die Daten auf anderem Wege zum Betroffenen gelangen.

Die Entscheidung des OLG Celle ist damit eine der wenigen obergerichtlichen Entscheidungen zu diesem Thema, welche im Sinne des Betroffenen positiv beschieden wurde.

Aufgrund der regional doch sehr unterschiedlich ausgeprägten Entscheidungslage in den jeweiligen Oberlandesgerichtsbezirken hat sich am Ende auch die Verteidigung hierauf einzustellen und letztlich an die örtlichen Begebenheiten anzupassen, bis eine etwaige höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Thema vorliegt.

Entsprechend ermöglicht die jetzige Entscheidung des Oberlandesgerichts zumindest im hiesigen Oberlandesgerichtsbezirk der Verteidigung einen weiteren größeren Fuß in die Tür zu bekommen, wenn es darum geht, Messfehler aufzuzeigen und im Gerichtstermin günstige Ergebnisse zu erzielen.

Es ist zudem auch nicht ausgeschlossen, dass die Amtsgerichte eher dazu tendieren werden, kleinere Verstöße mittels einer Herabsenkung des Bußgeldes auf 55 EUR (dann werden keine Punkte eingetragen) zu begegnen, um den großen Aufwand der Herbeischaffung von Rohmessdaten zu umgehen.

Umso mehr ist es derzeit angezeigt, Messungen kritisch zu hinterfragen und nicht als unangreifbar hinzunehmen, denn dies sind sie oftmals nicht.

Wurden Sie daher geblitzt, weil Sie zu schnell gefahren sind, ein Rotlicht missachtet haben, oder einen zu geringen Abstand auf der Autobahn eingehalten haben, so wenden Sie sich gern an unsere Kanzlei. Die helfen Ihnen gerne weiter.