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Mithaftung

Der BGH hat mit Urteil vom 03.12.2024, VI ZR 18/24 eine Entscheidung zur rechtlichen Fragestellung im Hinblick auf einen berührungslosen Unfall getroffen.

Es stellte sich die Frage, ob der sogenannte Anscheinsbeweis, dass ein Verkehrsteilnehmer sich nicht sorgfaltsgerecht verhalten hat, auch in den Fällen angenommen werden kann, wo es zu einer Berührung von unfallbeteiligten Fahrzeugen nicht gekommen ist. Die Besonderheit in diesem Fall lag zusätzlich auch noch darin, dass die fehlende Berührung von Fahrzeugen hier nicht zwischen den zwei direkt unfallbeteiligten Fahrzeugen vorlag, sondern zwischen einem der beteiligten Fahrzeuge und einem dritten Fahrzeug.

Sachverhalt:
Der Kläger fuhr in dem vom BGH entschiedenen Fall mit seinem Motorrad auf der Bundesstraße. Vor ihm fuhr ein weiterer Pkw, hinter ihm sein Sohn, ebenfalls auf einem Motorrad. Auf der Gegenfahrbahn befand sich ein Fahrzeug der Müllabfuhr. Hinter dem Fahrzeug der Müllabfuhr befand sich ein Fahrzeug, welches sodann an dem Müllfahrzeug links vorbeifahren wollte und daher auf die Fahrbahn wechselte, auf welcher sich der Kläger sowie das vor ihm fahrende Fahrzeug befanden. Das Fahrzeug, welches an dem Müllfahrzug vorbeifuhr, hatte den Gegenverkehr nicht hinreichend beachtet, so dass der Pkw, welcher vor dem Kläger fuhr, aufgrund des überholenden Fahrzeuges, dem Beklagtenfahrzeug, sehr stark abbremsen musste. Entsprechend musste auch der Kläger abbremsen und kam sodann aus unerklärter Ursache zu Fall. Das Motorrad rutschte am vor dem Kläger fahrenden Fahrzeug vorbei. Zu einer Berührung der beiden Fahrzeuge kam es nicht.

Der Kläger begehrte in der Folge Schadenersatz und Schmerzensgeld von der Fahrerin des Fahrzeuges, welche das Müllfahrzeug unter Benutzung der Gegenfahrbahn hat passieren wollen.

Außergerichtlich hatte der dortige Kfz-Haftpflichtversicherer jedwede Haftung abgelehnt. Das Landgericht bestätigte diese Rechtsansicht des dortigen Kfz-Haftpflichtversicherers und wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht sah es etwas differenzierter und sprach dem Kläger Schadenersatz auf Basis einer 40 %igen Mithaftung der Beklagtenseite zu.

Das Oberlandesgericht nahm dabei auch an, dass zu Lasten des Klägers ein Anscheinsbeweis greife, dass dieser entweder zu schnell gewesen sei, nicht aufmerksam war oder aber den Abstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug unterschritten habe. Es spiele keine Rolle, dass es zwischen dem Kläger und dem vor ihm fahrenden Fahrzeug nicht zur Kollision gekommen sei, die Grundsätze des Anscheins könnten auch fruchtbar gemacht werden, ohne dass es zu einer Berührung von beteiligten Fahrzeugen komme.

Entscheidung des BGH:
Der BGH hat diese Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts bestätigt. Entsprechend ist nun höchstrichterlich geklärt, dass die Grundsätze des Anscheins in den entsprechenden Konstellationen auch greifen ohne Berührung der beteiligten Fahrzeuge. Gleichwohl hatte der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben, da das Oberlandesgericht den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt hatte. Ein Rückgriff auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu Lasten des Klägers waren dem Oberlandesgerichts nämlich noch nicht möglich, da es an einer entsprechenden Aufklärung fehlte.

Insofern konnte der BGH eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht treffen und spielte den Ball an das Oberlandesgericht zurück. Dort angekommen, wurde das Verfahren sodann zwischen den Parteien verglichen, ohne das abschließend geklärt wurde, ob die Grundsätze des Anscheins in dem Fall überhaupt zu Lasten des Klägers hätten verwandt werden können und ohne dass eine konkrete Haftungsquote zwischen den Parteien festgestellt worden ist.

Fazit:
Die Sorgfaltspflichten, die ein Verkehrsteilnehmer zu beachten hat, gelten also nicht nur zwischen den konkret unfallbeteiligten Fahrzeugen, sondern auch gegenüber dritten Fahrzeugen. Hierbei kann, auch bei berührungslosen Vorgängen, auf die Grundsätze des Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden. Voraussetzung ist natürlich , dass der entsprechende Unfallsachverhalt ausreichend ausermittelt wurde.

 

Eine typische Unfallsituation auf einer Autobahn ist, dass etwa ein auffahrendes Fahrzeug von dem Beschleunigungsstreifen unter Missachtung der Vorfahrt des sich auf der Autobahn befindenden Verkehrs auffährt oder das ein Fahrzeug von der rechten oder mittleren Spur wiederum unter Missachtung der Vorfahrt des von hinten auf der Überholspur fahrenden Fahrzeuges ausschert und es dann zu einer Kollision kommt.

Wie schon soeben mitgeteilt, ist es grundsätzlich so, dass der von hinten heran nahende Verkehr vorfahrtsberechtigt ist und ein Spurwechsel nur unter Beachtung größtmöglicher Sorgfalt, ohne Gefährdung des bevorrechtigten Verkehrs zulässig ist.

In diesen Situationen kommt es aber ebenfalls regelmäßig zu dem Einwand des „Unfallverursachers“, dass der von hinten herannahende Verkehr zu schnell, also deutlich schneller als Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren sei.

Dieser Einwand kann durchaus relevant sein, nämlich dann, wenn die Richtgeschwindigkeit deutlich überschritten wird.

So hat u.a. im Sommer letzten Jahres das OLG München festgestellt, dass eine Überschreitung von 70 km/h der Richtgeschwindigkeit den Begriff der deutlichen Überschreitung erfüllt und dann zu einer entsprechenden Erhöhung der sog. Betriebsgefahr führt, was dann wiederum bedeutet, dass eine Haftungsquote gebildet wird (Az.: 10 U 7382/21).

Aus der sonstigen Rechtsprechung die mir bekannt ist, ist abzuleiten, dass in einem Bereich ab ungefähr 40 km/h über der Richtgeschwindigkeit, also ab einer Geschwindigkeit auf der Autobahn von ca. 170 km/h davon auszugehen ist, dass über eine entsprechende Mithaftungsquote ernsthaft nachgedacht und diskutiert werden muss.